Mein Andenken
* * *
Roger Willemsen
* 15. August 1955 in Bonn
† 07. Februar 2016 in Wentorf bei Hamburg
* * *
Anlässlich der Trauerfeier
am 22. Februar 2016 in Hamburg
gedenke ich
- Roger Willemsen -
seines literarischen Schaffens,
welches sich an seinem Lebensmotto
"Die Liebe in der Wahrheit" orientierte,
seiner Weltgewandtheit und Beliebtheit
sowie seines unstillbaren Humors.
* * *
Die ...
Montagabendsonne des 17. Septembers 2012 begleitete mich meines schnellen Schrittes ins Babylontheater. Ihr mildes Licht stimmte mich in Vorfreude auf die Lesung mit Roger Willemsen ein.
Und ...
ich erinnere mich zu gern an ihn, an seinen charismatischen und humorvollen Auftritt, das schallende Gelächter des Publikums und darüber hinaus an die kleinen Begebenheiten vor und nach der Vorstellung, so als stünde er immer noch plaudernd - den Schelm in seinen Augen sitzend - vor mir...
Ja ...
zu gern blicke ich an jenen Abend zurück, der mich in meiner Entscheidung motivierte, endlich mein erstes Buch in die Öffentlichkeit zu tragen...
Leseprobe aus "Pro Lyr"
Die Lesung
Der Abend, der alles veränderte
... nach einer wahren Begebenheit
Der Vorleser beendet seinen Satz, während der ganze Saal schallend lacht. Tosender Applaus im Babylontheater. Sein Klang schwebt im Dunkeln über den Köpfen des Publikums zu den unbesetzten Rängen hinauf und nimmt dort seinen Platz ein. Das Bühnenlicht lässt einen Moment lang die wohlwollenden Gesichter der Zuhörer erahnen, bis der Vorleser sich dankend verneigt und die Scheinwerfer erlöschen. Saalbeleuchtung erhellt die Menschenmenge, die zu Ausgängen und Büchertischen strömt, und ich bin mittendrin. Ich beobachte das Geschehen und überlege, das Kino zu verlassen oder ein Buch für die anschließende Signierstunde zu erwerben. Doch die könnte andauern, denn die Zahl der Interessenten wächst rasant an. Dabei fällt mir auf, dass nur weibliche Fans sich nach Lektüre und Autogramm verzehren.
„Nur noch Drei vor mir“, atme ich auf und beäuge die Innenarchitektur des Theaters. Sie ruht in Sachlichkeit, und ich genieße das Ambiente.
Ihre schlichte Eleganz lenkt alle Blicke auf die Kunst, deren glanzvoller Auftritt Hochmut als auch Gleichgültigkeit ins Abseits drängt. Ich fühle mich ihr verbunden und
spüre eine gewisse Betroffenheit. Hat sie mich ertappt?
Unruhe steigt in mir auf. Nur noch zwei Frauen vor mir, die ich unwillkürlich betrachte; sie schmeicheln dem Literaturgenie und kokettieren ungeniert. Wie gut, dass das Pult dazwischen steht. Endlich bin ich an der Reihe:
„Guten Abend.“
„Hallo, ich kenn Sie.“
„Ich kenn Sie auch“, plappere ich wie ein Papagei. Ich bin überrascht, nicke freundlich und reiche ihm das Buch: „Bitte, für Doreen.“
„Mit einem e?“
„Doppel e, bitte.“
Er signiert die erste Seite nach dem Klappentext, rückt sich die Brille auf der Nase zurecht und legt das Buch zurück in meine Hand. Sein Lächeln, von geheimnisvoll seltsam bis verschmitzt char-mant, ermuntert mich, noch einen Augenblick zu verweilen, obwohl hinter mir die Dame demonstrativ hüstelt.
„Geben Sie weitere Lesungen in Berlin?“
„Leider nicht. Doch für Sie, … bestimmt lässt sich da etwas arrangieren.“
Ich griene und wiederhole: „Bestimmt.“
Er mustert mich. Verstohlen...
schaue ich auf den Federhalter, den er zwischen Daumen und Finger jongliert.
„Danke, für den unterhaltsamen Abend“, zirpe ich und bemühe mich, lässig zu wirken, um meine Verlegenheit zu überspielen. Ich kann nicht umhin, ich flirte, in dem ich meinen unwiderstehlichen Wimpernaufschlag in Szene setze und verführerisch raune:
„Alles Gute für Sie.“
„Für Sie auch, Do r ee n.“
Beim Aussprechen meines Vornamens rollt er eindrucksvoll das ‚r‘, als wäre er ein gebürtiger Ire, um nur das ‚i‘, wie bei einer Harmonika, weich ausklingen zu lassen.
Nach einem kurzen Schweigen schmunzelt er und sagt:
„Auf Wiedersehen.“
Ich erröte, gluckse ein „Ja, vielleicht“, dann wende ich mich ab und eile davon. Im Foyer erfasst mich ein süßer Schauer; er kribbelt den Rücken rauf und runter und liebkost Hals und Wangen, unterdessen ich die Widmung lese:
Für Doreen! Ich kenn Sie!
Beschwingt laufe ich in die Nacht hinaus, biege links in die Hirtenstraße, erfrische mich an der Kühle und bewundere den klaren Septemberhimmel.
Hinter diesem schwarzblauen Vorhang lugt der Abendstern hervor, das unverkennbare Glitzern der Venus. ‚Was für eine Vorstellung‘, durchfährt es mich. Ich nähere mich dem Seiteneingang zur Studiobühne des Babylon´.
Der Schaukasten daneben ist jetzt grell beleuchtet.
Amüsiert denke ich zurück, als ich auf dem Wege zur Lesung war. Die Zeit drängte mich:
„Sei ja pünktlich, Doreen, es ist freie Platzwahl!“
Meine Absätze hämmerten den Bürgersteig entlang, bis ein großer Mann im dunkelgrauen Anzug aus jenem Eingang trat. Der verwegene Haarschopf unterstrich seinen schelmischen Gesichtsausdruck. Die Hände vergrub er in den Hosentaschen, als er gedankenverloren den Kopf senkte und mir entgegen schlenderte. Er lächelte, da er mich erblickte:
„Guten Abend.“
Ich strahlte ihn an, während mein Schritt sich verlangsamte:
„Guten Abend; geht es hier zur Lesung?“
„Nein, das ist der Bühnenaufgang. Außer, … Sie wollen zur Bühne?“
„Nicht heute“, antwortete ich, beschleunigte und rief über die Schulter:
„Irgendwann, ... bestimmt.“
Doreen Malinka
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Jan Ludwig (Mittwoch, 24 Februar 2016 12:35)
Hallo Doreen,
ich erinnere mich sofort wieder an deine Geschichte "Die Lesung", die ich schon mal gelesen habe und die dir ja wirklich passiert ist. Nun hast du eine schöne Erinnerung an Roger Willemsen durch deine ganz persönliche Begegnung, seine Handsignierung und nun auch durch deine persönliche Geschichte. Wie schön, dass du dadurch dein erstes Buch auf den Weg gebracht hast - Es sind immer ganz besondere Menschen, die uns bei schwierigen Entscheidungen den Weg weisen...
Liebe Grüße
Jan
Doreen Malinka (Mittwoch, 24 Februar 2016 17:34)
Ja, so ist es, lieber Jan, ...
... seitdem scheint die Zeit nur so dahin geronnen zu sein,
beinahe unmerklich und doch erinnernd an jene Menschen,
die positiven Einfluss auf unser Leben ausübten;
Und wir ließen sie gewähren. Zum Glück!
Ich danke Dir für die warmen Worte der Anteilnahme ...
Herzlichst, Doreen.
E.Rasmus (Donnerstag, 25 Februar 2016 20:19)
Eine eindrucksvolle und dem Gedenken angemessene Erzählung. Ein wenig schade allerdings auch, daß sie gedruckt in Deinem Buche, liebe Doreen, auf der Seite 134 f. nicht den Namen der Persönlichkeit ausweist. Aber nun hast Du ja das Geheimnis gelüftet. Roger Willemsen gehörte zu jenem Kreis von Menschen, die mit ihrem Charisma aufhorchen lassen und den Horizont der Erdrundung anpassend, menschliches Vermögen mit seinem Unvermögen reflektieren und ins Bewußtsein rufen. Dies trifft auf den viel zu früh Verstorbenen um so mehr zu, als er durch eigenes kritisches und aktives Handeln als Weltbürger überzeugen konnte.
Wenngleich bereits vor fünf Jahren verfaßt, glaube ich, daß die folgenden Zeilen dem Anliegen, Roger Willemsens zu gedenken, hier nahekommen mit dem
Nachruf
Ein Mensch ging unerwartet fort.
Nun klagt der leere Platz.
Im Raume aber klingt sein Wort
Noch weiter nach an manchem Ort
... als ungehobner Schatz.
Ein Mensch, bewegt in seinem Tun:
Zu ändern, klug, bescheiden.
Und seine Pläne soll’n nicht ruh’n.
Das schulden wir ihm heute nun.
Sein Sinn wird uns begleiten.